Traurederei: Lockdown Tales no. 6

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Die freie Trau­red­ner­in Andrea Ebert ist die Pro­tag­o­nistin der sech­sten Aus­gabe der Ham­burg Lock­down Tales auf Human Pos­ture. Die Idee, als Trau­red­ner­in zu arbeit­en, hat­te Andrea bere­its im Jahr 2017. Damals arbeit­ete sie im von Offen­heit und Vielfalt geprägtem Friedrich­stadt-Palast Berlin. Eine Begeg­nung, die ihr aus dieser Zeit beson­ders in Erin­nerung geblieben war, war die mit dem in ihrem Team zuständi­gen Oberkell­ner. In einem per­sön­lichen Gespräch erfuhr sie, dass dieser bere­its seit über 25 Jahren in ein­er gle­ichgeschlechtlichen Beziehung lebte, es aber zu dieser Zeit keine Möglichkeit gab, sich nach deutschem Recht gle­ichgeschlechtlich trauen zu lassen.

„Hamburg Lockdown Tales“

Dieser Beitrag im Human Pos­ture Blog ist Teil ein­er Serie über die Erfahrun­gen, Hal­tung und den Umgang Ham­burg­er Unternehmer mit der Coro­na-Krise 2020/2021 und den langfristi­gen Auswirkun­gen auf ihr Geschäft. 

Wir bekom­men für die Berichter­stat­tung und das Set­zen der im Beitrag vorhan­de­nen Links zu Web­seit­en, Pro­duk­ten und Dien­stleis­tun­gen keine Gegen­leis­tung. 

Iron Heart Ger­many: Lock­down Tales no. 1

Play­ground Cof­fee St. Pauli: Lock­down Tales no. 2

St. Pauli Tex­til­reini­gung: Lock­down Tales no. 3

Peace Out Yoga: Lock­down Tales no. 4

Aurim: Lock­down Tales no. 5

Von der Hotelfachfrau zur Traurednerin

Dies war der Funke für die zukün­ftige Neuaus­rich­tung als Trau­red­ner­in und die Grün­dung der Trau­red­erei in Ham­burg. Neben der Liebe für Men­schen, Vielfalt und Geschicht­en brachte Andrea als gel­ernte Hotelfach­frau vieles an Fach­wis­sen mit, dass naturgemäß bei der Pla­nung und Durch­führung von Hochzeit­en benötigt wird. Daher beschränkt sie sich bei Betreu­ung von ihrer Hochzeit­paare auch nicht zwin­gend auf die Hochzeit­srede, son­dern bietet bei Bedarf ein Run­dum-sor­g­los-Paket, bei dem sie Sorge trägt, dass am Tag der Tage von den Blu­men bis zum Cater­ing alles in richtiger Qual­ität zur richti­gen Zeit am richti­gen Ort ist.

Was ist eine freie Traurednerin?

Freie Trau­red­ner­in­nen und Trau­red­ner sind diejeni­gen, die bei ein­er freien Trau­ung oder ein­er standesamtlichen Hochzeit über das Paar sprechen – ein biss­chen wie ein Pfar­rer, aber eben ohne Liturgie und rechtliche Auswirkun­gen. Je nach Spezial­isierung und Leis­tungsport­fo­lio gestal­ten und organ­isieren sie auch die Hochzeits-Zer­e­monie und deck­en damit auch Auf­gaben­bere­iche ab, die üblicher­weise von ein­er Hochzeit­s­planer­in oder einem Hochzeit­s­plan­er über­nom­men wer­den.


Weltoffen und in Hamburg verankert

Offen­heit und Weit­blick sind nicht nur die selb­st entwick­elte Hal­tung von Andrea in ihrer Rolle als Trau­red­ner­in, son­dern auch inspiri­ert von ihrer langjähri­gen Erfahrung in Sterne-Hotels und ‑Restau­rants rund um den Globus. Nach ihrer Aus­bil­dung in Bay­ern fol­gten beru­fliche Sta­tio­nen in Län­dern wie Öster­re­ich, Irland, den Nieder­lan­den und Nor­we­gen, aber auch an weit ent­fer­n­ten Orten, wie Aus­tralien, wo sie in Tas­man­ien und auf Hamil­ton Island arbeit­ete. Ähn­lich wie die Orte, hat die Vielfalt der Men­schen, die ihr begeg­net sind, sie entschei­dend geprägt. Dabei erin­nert sie sich eben­so gern an Begeg­nun­gen mit königlichen Fam­i­lien oder Anek­doten, wie dem Room­ser­vice für Orlan­do Bloom, wie an ihre Kol­le­gen und andere Men­schen, die sie im Zuge ihrer Reisen ken­nen­ler­nen durfte.

Liebe ist für alle da

Obwohl sich Andrea auch sel­ber gern von Hochglanz- und Insta­gram-Hochzeit­en inspiri­eren lässt, ist ihr vor allen Din­gen Authen­tiz­ität wichtig. Dafür set­zt sie sich ein, denn authen­tis­che Hochzeit­en sind – auch auf den Inter­net- und Social Media Seit­en viel­er Kol­le­gen – medi­al eher unter­repräsen­tiert. Was man zu sehen bekommt, sind oft keine wirk­lichen Hochzeit­en, son­dern vielmehr eigens zum Zwecke der Wer­bung gestyl­ter Foto­shoot­ings, die zu wenig mit der Real­ität der Emo­tio­nen und Men­schen zu tun haben. Die Trau­red­erei möchte hier ein klares Sig­nal set­zen: Jede, jed­er – alle sind so willkom­men, wie sie sind, und Andreas’ Auf­gabe ist es, die Einzi­gar­tigkeit eines jeden Paares in ihren Vor­bere­itun­gen her­auszuar­beit­en.

Die Entstehung einer Traurede

In die Vor­bere­itung für eine gute Trau­rede fließen im Schnitt unge­fähr 35 Stun­den Arbeit. Die resul­tierende Rede umfasst meis­tens um die 25 Seit­en, deren Vor­trag während der Zer­e­monie unge­fähr 45 Minuten in Anspruch nimmt. Der Prozess startet in der Regel ein halbes Jahr vor der Zer­e­monie mit dem »Großen Gespräch« zwis­chen Trau­red­ner­in und dem Braut­paar, das min­destens 4 Stun­den dauert. Zwar meinen die meis­ten Braut­leute, dass sie ihren zukün­fti­gen Part­ner rel­a­tiv gut ken­nen, aber es gibt möglicher­weise doch Aspek­te der per­sön­lichen Geschichte oder der gemein­samen Beziehun­gen, über die die Trau­red­ner­in mehr im Gespräch unter vier Augen erfahren kann.

Die Rolle von Partnern, Freunde und Familie

Daher gibt es neben dem Gespräch mit den Braut­leuten noch Frage­bö­gen für die Part­ner, ihre Fam­i­lien­mit­glieder sowie die eng­sten Fre­unde. Auf diese Art und Weise lassen sich ebendiese ver­steck­te Perlen zutage fördern, die eine tiefe und berührende Trau­rede aus­machen – die Emo­tio­nen und »Aha-Momente«, an die sich Braut­paar und Gäste besten­falls für den Rest ihres Lebens gern zurück­erin­nern. Hier kom­men wir zu ein­er der Haupther­aus­forderun­gen, mit denen sich freie Trau­red­ner­in­nen und Trau­red­ner zu Zeit­en des Lock­downs auseinan­der­set­zen müssen.

Die besondere Herausforderung für eine Traurednerin zu Zeiten des Lockdowns

Natür­lich lassen sich Gespräche per se tech­nis­che betra­chtet wun­der­bar online durch­führen. Doch geht das Feine, die Zwis­chen­töne und ein Großteil der Kör­per­sprache und unmit­tel­bar spür­baren Reak­tio­nen der Gesprächspart­ner, gehen ver­loren. Ein gutes tech­nis­ches Set-up in Bezug auf Bild, Ton und Inter­netverbindung ver­mag hier viel auszu­gle­ichen, wird aber trotz­dem diese für die Arbeit ein­er Trau­red­ner­in so wichti­gen Fak­toren nie voll­ständig zu erset­zen ver­mö­gen. Das macht die Auf­gabe in Zeit­en von Coro­na umso anspruchsvoller. Dazu kommt, dass viele Paare teil­weise schon seit Anfang 2020 ihren großen Tag mit der Hoff­nung vor sich her(ver-)schieben, dass bald alles wieder »nor­mal« wird – was auch immer das in Zukun­ft bedeuten wird. Die Auf­tragslage ist entsprechend dünn im Ver­gle­ich zu Vor-Coro­na-Zeit­en.

Interview mit Andrea Ebert von der Traurederei

Ich tre­ffe Andrea für das Inter­view an ihrem aktuellen Arbeit­splatz – der gemütlichen Küche ihrer Woh­nung im Ham­burg­er Stadt­teil Barm­bek-Süd, die sie mit ihrer Patch­work-Fam­i­lie, beste­hend aus ihrem Lebens­ge­fährten, Michael, und zwei kleinen Töchtern, bewohnt. Nor­maler­weise nutzt sie für die Aktiv­itäten der Trau­red­erei das Arbeit­sz­im­mer, das man auch auf den Fotos später im Beitrag kurz sehen kann. Auf­grund der Pan­demie wird dieser Arbeit­splatz aber momen­tan haupt­säch­lich von Michael genutzt, der als fest angestell­ter Grafik­er aus dem Home-Office arbeit­en muss und mehrere Bild­schirme benötigt.

HUMAN POSTURE: Warum gibt es die Trau­red­erei noch?

Andrea Ebert: Weil ich nicht aufgeben möchte. Weil ich weit­er­hin da sein möchte, wenn Coro­na vor­bei ist. Und, weil ich einen starken Part­ner habe, der mich durch diese Zeit trägt, wenn ich selb­st nicht mehr weit­er­laufen kann. Der mir aufhil­ft, wenn ich mal wieder über einem Haufen Rech­nun­gen knie und eben nicht weiß, wie es näch­sten Monat weit­erge­hen soll. Jeman­den, der mich fast täglich darin bestärkt, an meinem Traum festzuhal­ten. 

HUMAN POSTURE: Mit welch­er Hal­tung begeg­nest Du den aktuellen Her­aus­forderun­gen?

Andrea EbertIch bilde mich weit­er, ver­tiefe mein Wis­sen und bleibe im ständi­gen Aus­tausch mit meinen Trau­red­ner Kol­le­gen. Ich finde mich neu und komme dabei auch irgend­wie erst richtig an. Ich befinde mich auf ein­er Reise, auf die ich vielle­icht sog­ar zu lange gewartet habe. Im Moment finde ich viele neue Lösungsan­sätze für meine Braut­paare. Anstelle der Par­ty mit 150 Gästen geht der Trend in diesem Jahr zurück zur Micro Wed­ding – intime Hochzeit­en mit weniger Gästen aber dafür mit umso mehr Gefühl. Eine Hochzeit im eige­nen Wohnz­im­mer: warum nicht? Live Über­tra­gun­gen der Trau­ung via Zoom… Klar! Wir leben in ein­er Zeit ständi­gen Wan­dels, und es liegt an mir, mitzuge­hen. 

HUMAN POSTURE: Welche Rolle spielt dabei Ver­trauen?

Andrea EbertIch ver­traue in mein Kön­nen und in meine Liebe für meinen Beruf. In die Zukun­ft. Jed­er Selb­st­ständi­ge ste­ht min­destens ein­mal an dem Punkt, wo es heißt: Aufgegeben oder Zähne Zusam­men­beißen. Ich ver­suche, mich auf das zu freuen, was da noch kommt. Und ein­fach nur durchzuhal­ten. 

HUMAN POSTURE: Hat der erneute Coro­na-Lock­down die zukün­ftige Aus­rich­tung der Trau­red­erei verän­dert?

Andrea EbertDie Trau­red­erei ist eine Tätigkeit, die aus meinen Braut­paaren und mir mehr als nur Geschäftspart­ner macht. Es geht um Ver­trauen. Um Ver­lässlichkeit. Darum ein offenes Ohr zu haben. Denn auch meine Paare haben Sor­gen und Äng­ste. Nor­maler­weise tre­ffe ich meine Paare in regelmäßi­gen Abstän­den per­sön­lich. Zur jet­zi­gen Zeit bleiben uns meist nur Zoom-Meet­ings. Dabei fällt es den Paaren oft etwas schw­er­er sich fall­en zu lassen, als in den eige­nen vier Wän­den. Hier braucht es Fin­ger­spitzenge­fühl und viel Empathie.

HUMAN POSTURE: Welche Rolle spielt Nach­haltigkeit für Dich, und wie bee­in­flusst sie Dein Geschäft?

Andrea EbertDen Trend von Nach­haltigkeit fol­gt die Hochzeits­branche schon seit eini­gen Jahren. Darauf bin ich sehr stolz. Es gibt ganz wun­der­voll entwick­elte Konzepte für Green Wed­dings. Das fängt beim abbaubaren Kon­fet­ti an, geht über region­al pro­duziertes Essen und spiegelt sich auch in dem Trend des Sec­ond­hand Wed­ding Dress­es wider. Selb­st für die Blu­mendeko­ra­tion gibt es mit­tler­weile den Trend der Sec­ond Flow­ers – das ist ein Aus­tausch zwis­chen zwei Braut­paaren die sich an unter­schiedlichen Tagen ihre Blu­mendeko­ra­tion teilen. 

HUMAN POSTURE: Was sind die Men­schen, Dinge, Ein­flüsse oder Rou­ti­nen, die Dich im Moment am meis­ten unter­stützen?

Andrea EbertMeine Fam­i­lie. Dieser ver­rück­te Haufen, der sich zwis­chen Home­school­ing, Kita und 100% Home­of­fice immer wieder zusam­men rauft. Die größte Her­aus­forderung ist es, nach dem Zubet­tbrin­gen nicht am Com­put­er einzuschlafen und mor­gens fit aus dem Bett zu kom­men, auch wenn man nur 3–4 Stun­den geschlafen hat. Dafür ver­suche ich, mir kleine Pausen einzuräu­men. In mehr oder weniger regelmäßi­gen Abstän­den. Den Spa­gat schaf­fend zwis­chen Fam­i­lie und Beruf, glück­lichen Kindern und ein­er glück­lichen Mut­ter. Ein kurzes Reset: Einat­men. Ausat­men. Dazu helfen mir auch die kurzen Anrufe mein­er Braut­paare, denn diese Sit­u­a­tion lässt uns noch weit­er zusam­men wach­sen. Wir steck­en da alle gemein­sam drin und wis­sen: nur gemein­sam kom­men wir ans Ziel.

HUMAN POSTURE: Gab es eine Erfahrung, die Dich, im Zusam­men­hang mit Deinem Geschäft, während des Lock­downs beson­ders bewegt hat?

Andrea EbertDie Angst, die man keinem nehmen kann. Ich bin ein absoluter Gefühls­men­sch. Nicht helfen zu kön­nen, selb­st keine Antworten parat zu haben – das ist noch immer etwas, was mir schw­er­fällt. Dann ver­suche ich, mich in den Worten mein­er Paare zu ver­lieren. Ich set­ze mich an den Lap­top und schreibe ein­fach darauf los. Denn schließlich »verkaufe« ich ein Stück Liebe. Und die spürt man zwis­chen jed­er einzel­nen Zeile. Aufrichtige Gefüh­le in Zeit­en von Ungewis­sheit. Liebe und Hoff­nung. Hoff­nung auf eine Zeit danach, auf Umar­mungen und auf das Wieder­se­hen. 

Ich betreue ein Braut­paar, bei dem der Onkel eines Part­ners aus­führlich und sehr per­sön­lich den Frage­bo­gen beant­wortet hat. Auf­grund des Lock­downs hat­te aber das Braut­paar beschlossen, die Hochzeit zu ver­schieben. Mit­tler­weile ist dieser Onkel ver­stor­ben, und es bleiben nur noch seine per­sön­lichen Worte. Das hat mich schon sehr berührt. Fam­i­liengeschicht­en wer­den kom­plett neu geschrieben, Men­schen wer­den zu Geschicht­en.

HUMAN POSTURE: Was kannst Du anderen Unternehmerin­nen und Unternehmern mit auf den Weg geben, die sich ger­ade selb­st neu erfind­en müssen?

Andrea EbertDig­i­tal­isierung ist heute nicht mehr nur ein Mit­tel zum Zweck. Sie ist eine wesentliche Unter­stützung und ein aktiv­er Treiber. Lasst sie uns nutzen! Umdenken heißt nicht, sich selb­st ver­liere, son­dern sich selb­st neu find­en – wenn nicht jet­zt wann dann? Was bleibt uns son­st? Aufgeben? Vielle­icht. Aber ein­fach so auf keinen Fall! Es gibt so viele wun­der­bare Kanäle, auf denen wir Men­schen erre­ichen kön­nen, denen wir son­st vielle­icht nie begeg­net wären. 


Traurederei Ressourcenliste

Trau­red­erei auf Insta­gram @traurederei

Trau­red­erei Web­site https://www.traurederei.de

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